Appreciative Inquiry in aller Kürze
Menschliche Systeme bewegen sich in Richtung der Fragen, die sie am häufigsten und authentischsten stellen.
Habt Ihr schon einmal mitten in einem Interview festgestellt, dass Ihr in eine Spirale negativer Fragen geraten seid, bei denen nur Antworten herauskommen, die eine ziemlich traurige Geschichte voller Probleme und ohne Lösungsansätze ergeben? Wenn wir über ein Thema berichten, bei dem es um etwas geht, das schiefgelaufen ist (z. B. ein Konflikt, ein soziales Problem), versuchen wir oft automatisch, vor allem die negativen Ursachen oder Auswirkungen der Situation zu erfassen, indem wir z. B. fragen: "Wann haben die Feindseligkeiten begonnen?" oder „Unter welchen Folgen leidet Ihre Familie?”
Stellt Euch nun vor, Ihr würdet die Perspektive umdrehen und (auch) fragen: "Wann haben sich die Mitglieder dieser Gemeinschaft das letzte Mal einander verbunden gefühlt?” Was ist damals passiert?" oder "Welche drei Hoffnungen haben Sie für die Zukunft Ihrer Familie? Welche davon wird sich am ehesten erfüllen?"
Diese letzten Beispiele hätten Teil eines Interviewleitfadens sein können, der auf Appreciative Inquiry basiert, einem Befragungsansatz, der auf konstruktive und ressourcenfokussierte Gespräche abhebt, anstatt sich nur auf eine Problemanalyse zu konzentrieren. Er wurde in den 1980er Jahren von dem amerikanischen Experten für Organisationsentwicklung David Cooperrider und anderen Forschern entwickelt (1) und hat seitdem in vielen weiteren Anwendungsfeldern Einzug gehalten - von Politik über das Bildungswesen bis hin zu familiären und persönlichen Beziehungen (2).
Die Basis bilden theoretische Grundsätze, die durch empirische Forschung untermauert sind. Appreciative Inquiry bietet eine Roadmap für einen Recherche- oder Analyseprozess mit "generativen" Fragen - belebenden, kreativen Fragen, die zu einem höheren Wohlbefinden und zu einer nachhaltigen sozialen Entwicklung führen (3). Die Roadmap wird als "4-D-Zyklus" bezeichnet und besteht aus vier Phasen: Entdeckung, Traum, Entwurf und Bestimmung (1).
Die Idee, dass eine konstruktive Herangehensweise eine nachhaltige Entwicklung fördert, ähnelt anderen ressourcenbasierten Modellen, die die Arbeit des Bonn Institute maßgeblich inspirieren. Das Solutions Journalism Network zum Beispiel leistet auf diesem Feld großartige Arbeit und beschäftigt sich unter anderem mit Lösungsorientierung und konstruktiven Fragen, die "das Narrativ komplizierter machen" (4), um so eine nuanciertere, perspektivenreichere und zukunftsorientierte Berichterstattung zu ermöglichen. Ein weiteres Beispiel ist die Lösungsfokussierte Kurztherapie, die von dem amerikanischen Psychotherapeuten Steve de Shazer (5) mitentwickelt wurde. Wir werden später noch näher darauf eingehen. Appreciative Inquiry ist insofern besonders wertvoll, als es ein bestimmtes Modell zur Prozessstrukturierung vorschlägt sowie eine Reihe von Kriterien zur Verfügung stellt, die dem Ansatz entsprechende Fragen kennzeichnen.
In diesem Artikel der Reihe "Psychologie im Journalismus" erfahrt Ihr etwas über:
Die theoretischen Grundlagen, die den Ansatz von Appreciative Inquiry unterstützen
Den 4-D-Zyklus von Appreciative Inquiry
Wie man Appreciative Inquiry auf journalistische Interviews anwendet
Warum es bei Appreciative Inquiry nicht nur um Positives geht
Theoretische und empirische Grundlagen
Im Zuge der Entwicklung des Appreciative-Inquiry-Ansatzes haben David Cooperrider und Diana Whitney "fünf Prinzipien und wissenschaftliche Strömungen" systematisiert, die sie als zentral für die "theoretische Basis des Wandels" der Appreciative Inquiry ansehen (6). Hier ergänzen wir diese Prinzipien durch Erkenntnisse aus anderen Bereichen der psychologischen Forschung.
Konstruktionsprinzip: "Worte schaffen Welten" - Dieser Annahme zufolge gibt es keine objektive Realität. Für die Befürworter dieser Perspektive - z. B. den renommierten Psychologen Paul Watzlawick, einen der größten Namen in der Kommunikationsforschung - wird die Realität durch soziale Interaktion und Sprache konstruiert und wahrgenommen. In Watzlawicks Werk wird der Begriff "Konstruktivismus" verwendet (7). Diesem Prinzip zufolge ist die Welt kein festes Konstrukt, das nur darauf wartet, beobachtet zu werden, sondern sie wird durch zwischenmenschliche Kommunikation erschaffen. Wenn das stimmt, dann ist es umso wahrscheinlicher, dass die Realität sich dieser Vision annähert, je mehr wir eine Sprache verwenden, die auf Lösungen und konstruktive Beziehungen ausgerichtet ist.
Da die Menschen vor allem über Nachrichten Zugang zum Geschehen auf der Welt haben und sich so ein Bild von ihr machen, haben Journalistinnen und Journalisten eine immense Verantwortung, ihre Worte sorgfältig zu wählen - nicht nur in ihren Berichten, sondern auch in ihren Interviews und Recherchegesprächen. In Teil 2 dieser Reihe, "Die Macht der Sprache", haben wir aufgearbeitet, welchen substanziellen Einfluss Formulierungen auf Gefühle, Gedanken und Einstellungen haben.
Gleichzeitigkeitsprinzip: "Nachfragen schafft Veränderung" - "In dem Moment, in dem wir eine Frage stellen, beginnen wir, Veränderung zu schaffen" (8), das heißt, die Realität in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Ein gutes praktisches Beispiel für dieses Prinzip ist der sogenannte „Primacy-Effekt". Er zeigt, welche Auswirkungen die erste Frage zu einem bestimmten Thema auf die Gedanken und Aussagen des Gesprächspartners und auf den weiteren Verlauf der Konversation haben kann (mehr über diesen Effekt erfahrt Ihr in einem späteren Artikel dieser Serie) .
Antizipatorisches Prinzip: "Bilder inspirieren zum Handeln" - Die Vision, die Menschen von der Zukunft haben, beeinflusst ihr Handeln in der Gegenwart. Forschungen auf dem Gebiet der sozialen Kognition deuten beispielsweise darauf hin, dass das Imaginieren von Bildern einer wünschenswerten Zukunft ("mentale Simulation") unter bestimmten Umständen positive Auswirkungen auf das Verhalten in Richtung des gewünschten Ziels haben kann, ebenso auf Problemlösen und Emotionsregulation (9, 10).
Ein journalistischer Diskurs, der Bilder einer hoffnungsvolle(re)n Zukunft entwirft, wird höchstwahrscheinlich Gefühle von Lähmung oder Hilflosigkeit reduzieren und den Menschen das Gefühl geben, ihr eigenes Leben selbstbewusster und aktiver gestalten zu können.
Positives Prinzip: "Positive Fragen führen zu positivem Wandel" - Viele psychologische Untersuchungen zeigen, wie einschränkend es sein kann, sich ausschließlich auf Probleme zu konzentrieren. Umgekehrt den Fokus auf das zu richten, was funktioniert, lässt "Individuen, Gemeinschaften und Gesellschaften aufblühen" (11).
In der Sozialpsychologie hat beispielsweise die Forschung über "selbsterfüllende Prophezeiungen" den starken Einfluss nachgewiesen, den positive Erwartungen und Überzeugungen auf positive Reaktionen und Verhaltensweisen von Individuen und ihren Interaktionspartnern haben können (12).
Forschung zum von Barbara Fredrickson entwickelten Broaden-and-Build-Modell positiver Emotionen (13) hat immer wieder gezeigt, dass Menschen, die positive Emotionen (Freude, Interesse, Liebe usw.) erleben, offener für neue Ideen und kreativer werden, sich eher auf neue soziale Beziehungen und Aktivitäten einlassen usw., "was wiederum dabei unterstützt, dauerhafte persönliche Ressourcen aufzubauen" - körperliche, intellektuelle, soziale und psychologische (13).
Wie bereits in der Einleitung erwähnt, ist die lösungsorientierte Kurztherapie von Steve de Shazer und Insoo Kim Berg ein evidenzbasierter Therapieansatz, der Menschen dazu einlädt, sich auf das zu konzentrieren, was funktioniert oder funktioniert hat, und sich künftige spezifische Ziele und Verhaltensweisen vorzustellen und konkret zu formulieren (5, 14). Einige Grundsätze der lösungsorientierten Kurztherapie stimmen gut mit dem Geist von Appreciative Inquiry überein: "Wenn es funktioniert, mach mehr davon"; "Die Sprache für die Entwicklung von Lösungen unterscheidet sich von der Sprache, die für die Beschreibung eines Problems benötigt wird"; "Die Zukunft ist gleichermaßen aktiv gestaltet wie verhandelbar" (15).
Was die weiter reichenden Auswirkungen betrifft, so deuten Erkenntnisse aus der Gemeindepsychologie darauf hin, dass der so genannte SPEC-Ansatz (Fokus auf Stärken, Prävention, Empowerment und gemeinschaftlichen Wandel) kosteneffizienter und daher auch nachhaltiger ist als defizitorientierte Modelle (16).
Poetischer Grundsatz - Zu den ursprünglichen Grundsätzen von Appreciative Inquiry gehört dieser zusätzliche Grundsatz, der besagt, dass "menschliche Organisationen eher einem offenen Buch gleichen als etwa einer Maschine. Die Geschichte einer Organisation wird ständig mitgeschrieben. [...] Wir können das Wesen der Entfremdung oder der Freude, des Enthusiasmus oder der niedrigen Moral, der Effizienz oder des Exzesses erkunden" (6), was ebenfalls auf konstruktivistische Annahmen anspielt.
In den vergangenen Jahrzehnten wurden weitere Vorschläge gemacht, aber diese fünf Grundsätze sind in der Appreciative Inquiry-Gemeinschaft seit ihrer ersten Formulierung im Jahr 2001 allgemein akzeptiert. Trotzdem ist wichtig zu betonen, dass die Konzentration auf das Positive nicht bedeutet, die Probleme zu ignorieren. Wir werden weiter unten mehr dazu sagen.
Berichterstattung und Interviews auf Basis des 4-D-Zyklus
Für die Begründer von Appreciative Inquiry war es sehr wichtig, dass der Ansatz nicht auf eine Methode, eine Reihe von Aktivitäten oder Regeln reduziert wird; der Schwerpunkt lag auf ihren Prinzipien und darauf, einen strukturierten Prozess zur Erleichterung generativer Gespräche zu bieten. Doch als David Cooperrider und sein Team begannen, Appreciative Inquiry in verschiedenen organisatorischen Kontexten in die Praxis umzusetzen, stabilisierten sich einige Phasen des Prozesses und wurden schließlich in eine Abfolge gebracht. Im Jahr 1997 entstand ein systematisierter Leitfaden für die Umsetzung von Appreciative Inquiry (1, 17). Er wird als 4-D-Zyklus bezeichnet.
Der 4-D-Zyklus beginnt mit der Wahl eines positiven Themas, gefolgt von vier Phasen: Entdeckung (discovery), Traum (dream), Entwurf (design) und Bestimmung (destiny). Kurze Anmerkung: Manche verwenden den Begriff "definieren" für den Ausgangspunkt und nennen ihn deshalb einen 5-D-Zyklus (1). Beide Begriffe sind akzeptiert.
Während Appreciative Inquiry und der 4-D-Zyklus schon seit Jahrzehnten angewendet werden, gibt es nur wenige, die sie direkt und umfassend auf journalistische Berichterstattung übertragen haben. In einer 2019 erschienenen Aufsatzsammlung [Interviewing: The Oregon Method, von der University of Oregon's School of Journalism and Communication] plädiert Mike Fancher, amerikanischer Journalist und ehemaliger leitender Redakteur der Seattle Times, für die Integration von Appreciative Inquiry in den Journalismus. Er beschreibt Appreciative-Inquiry-Interviews als eine der Lösungen, die dazu beitragen könnten, den Journalismus neu zu erfinden, damit die Menschen wieder Vertrauen in Nachrichten entwickeln und sie zu sich in Beziehung setzen können (18). Es gibt auch einige Beispiele für die direkte Anwendung des Ansatzes in der Berichterstattung: Ein Programm in Malawi, Chuma Chobisika (Verborgene Schätze), nutzte explizit das Appreciative-Inquiry-Design, um Geschichten von einheimischen Bauern über Lösungen zu sammeln, die sie erfolgreich für die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen umgesetzt hatten, so dass die Zuschauer diese Strategien selbst anwenden konnten (19).
Das Ziel dieses Artikels ist es, eine systematische Umsetzung von Appreciative Inquiry im Journalismus zu ermöglichen, da Prozessphasen eine Inspirationsquelle für konstruktiven Journalismus sein können, sowohl bei der Formulierung von Themen als auch bei der Vorbereitung und beim Führen von Interviews. In diesem Abschnitt werden wir theoretische Beschreibungen der einzelnen Phasen des Zyklus und mögliche Interviewfragen, die auf diesen Begriffen basieren, untersuchen und nebeneinander darstellen.
Affirmatives Thema
Definition
Jede Untersuchung oder jedes Projekt beginnt mit einem Thema. Im Fall des Appreciative-Inquiry-Modells ist das Thema "affirmativ" (bejahend oder bestärkend) - es steht für das, was die Menschen verbessern oder wovon sie mehr haben wollen. Eine mögliche Umsetzung besteht darin, das Problem zu benennen und es dann in einen bejahenden Satz oder eine Frage umzuformulieren. Dies ist die Grundlage des 4-D-Prozesses. Und die Zeit, die für diesen Schritt aufgewendet wird, wird im Allgemeinen als "wesentlich für den Gesamterfolg" des Zyklus angesehen (17), da der erste Schritt die Bühne für alle weiteren Fragen bereitet. Damit Recherche und Analyse möglichst reichhaltige Ergebnisse liefern, sollte das Thema sowohl überzeugend als auch von großem Interesse für die Beteiligten sein.
In der Praxis
In der Berichterstattung entspricht dies in etwa dem Blickwinkel der Geschichte. Worüber möchtest Du mehr erfahren? Schreibe dieses Anliegen als Satz oder Frage aus einer positiven Perspektive auf. Im Zusammenhang mit einer Naturkatastrophe oder einem Unglück könntest Du z. B. die Frage "Was hat diese Gemeinschaft getan, als sie alles verloren hat?" umformulieren in "Welche (persönlichen/institutionellen) Ressourcen hat diese Gemeinschaft genutzt, um ihr Leben wieder aufzubauen?"
Nachdem die Geschichte geschrieben ist, zeigt sich dieser Ansatz oft in Überschriften, die konkrete, proaktive Handlungen in den Fokus rücken (z. B. "How one small Syrian NGO is tackling period poverty, one pad at a time").
Es ist auch möglich, ein affirmatives Thema durch entsprechendes Framing zu setzen, wie in einem kürzlich erschienenen Artikel des portugiesischen Online-Medienunternehmens Mensagem de Lisboa (April 2023): "Klimatische Zufluchtsorte. Wo kühlt sich die Stadt ab, wenn die Hitze kommt?" . In dem Artikel wurde aufgezeigt, welche Teile der Stadt am stärksten von der Hitze betroffen sind, welche Gründe es dafür gibt und wie andere Bereiche der Stadt Abkühlung bieten.
Entdeckung: Das Beste von dem, was ist (Erfolge in Erinnerung rufen)
Definition
Nach der Festlegung des Themas ist es an der Zeit, die eigentliche Recherche in vier Phasen zu beginnen. In der Entdeckungsphase sollen die Fragen dem Einzelnen oder der Gruppe helfen, sich an herausragende Erfolgsmomente zu erinnern, Stärken und Potenziale (wieder) zu entdecken und gemeinsam neue Erzählungen zu konstruieren.
Diese Phase ist denjenigen, die sich mit Lösungsjournalismus befassen, sehr vertraut: "Was den Lösungsjournalismus fesselnd macht, ist die Entdeckung - die Reise, die den Leser oder Zuschauer zu einer Einsicht darüber führt, wie die Welt funktioniert und wie sie vielleicht besser funktionieren könnte" (Bansal & Martin, 2015, zitiert in 20).
In der Praxis
In dieser Phase geht es vor allem darum, die Befragten zu bitten, sich an frühere Erfolge und Stärken zu erinnern und diese hervorzuheben. Du könntest zum Beispiel fragen:
Beschreiben Sie eine Zeit, in der die Dinge wirklich gut liefen. Aufgrund welcher Bedingungen war das möglich? Wer hat was getan? Was haben Sie getan?
Welches sind die wichtigsten Faktoren, die Ihre Gemeinschaft mit Leben erfüllen?
Was schätzen Sie an Ihrer Gemeinschaft am meisten?
Was schätzen Sie in diesem Zusammenhang an sich selbst am meisten? Was können Sie besonders gut?
Was würde ohne Sie/Ihre Gemeinschaft aufhören zu existieren?
Was haben andere in der Vergangenheit getan, das Sie positiv überrascht hat?
Was ist Ihr denkwürdigster Moment im Kontext dieses Themas? Welche positiven Erfahrungen haben Sie während dieser Zeit mit anderen geteilt?
Traum: Was sein könnte (die Zukunft ausmalen)
Definition
Die Menschen identifizieren sich mit ihrer Gruppe und drücken aus, was sie sich für die gemeinsame Zukunft vorstellen. In dieser Phase geht es darum, zu beschreiben, wie es sein wird, wenn die Vision vollständig umgesetzt ist - das Antizipationsprinzip wirkt hier besonders anregend. Unter Berücksichtigung dessen, was in der Entdeckungsphase beschrieben wurde, geht es hier darum, dieses Potenzial zu erweitern. Diese Phase soll belebend, generativ und praktisch sein.
In der Praxis
Diese Fragen sollen den Befragten helfen, aus dem "Hier und Jetzt" herauszukommen und sich eine wünschenswerte Zukunft vorzustellen.
Wenn Sie drei Wünsche äußern könnten, um diese Gemeinschaft/Situation zu verbessern, welche wären das?
Was sind Ihre drei größten Hoffnungen für die Zukunft in dieser Situation?
Stellen Sie sich einen idealen Tag in dieser Gemeinschaft vor. Was ist das Erste, was Sie sehen, wenn Sie das Haus verlassen? Nennen Sie drei Dinge, die Ihnen ein gutes Gefühl geben.
Stellen Sie sich vor, dass Sie in einem Jahr genau dort sind, wo Sie sein wollen. Was sind die wichtigsten Dinge, die Sie bis dahin erreicht haben? Was passiert gerade? Wie interagieren die Menschen?
Was denken Sie, was sich andere Menschen in dieser Situation erhoffen?
Gibt es etwas, das Sie sich wünschen und an das niemand sonst gedacht hat?
Haben Sie schon von unerwarteten, guten Ideen gehört?
Welche gemeinsamen Visionen für die Zukunft haben Sie und andere Menschen?
Entwurf: Wie man ko-konstruiert (einen Plan erstellen)
Definition
Während in der Traumphase eine Vision von einer besseren Zukunft formuliert wird, wird in der Entwurfsphase festgelegt, was die Menschen tun wollen, um auf diese Vision hinzuarbeiten. Hier legen die Menschen konkrete Schritte fest, die unternommen werden müssen, und erstellen einen Plan.
In der Praxis
In dieser Phase möchten wir, dass die Befragten konkrete Maßnahmen zur Verwirklichung ihrer Zukunftsvorstellungen formulieren. Diese Phase ist besonders hilfreich für einen wirkungsvollen Klimajournalismus: Da der Klimawandel oft als sehr komplex und weitreichend (zeitlich wie räumlich) empfunden wird, kann die Frage an die Betroffenen, welche konkreten Maßnahmen sie in der Gegenwart ergreifen können, um zum Wandel beizutragen, eine Perspektive der Befähigung fördern (21).
Was sind drei Dinge, die Sie in Ihrem Leben tun könnten, um sich in Richtung Ihrer Vision zu bewegen?
Welche persönlichen Stärken können Sie/Ihre Gemeinschaft nutzen, um zur gewünschten Zukunft beizutragen?
Was haben Sie/Ihre Gemeinschaft in der Vergangenheit getan, das in ähnlichen Kontexten hilfreich war?
Was kann Sie motivieren, die neuen Verhaltensweisen zu verwirklichen?
Nennen Sie zwei weitere wichtige Akteure für diesen Transformationsprozess. Welche innovativen Maßnahmen können sie Ihrer Meinung nach einbringen?
Bestimmung: Was wird sein (Beschreibung der nächsten Schritte)
Definition
Dies ist eine sehr praktische Phase: Die Menschen bringen die geplanten Maßnahmen in die tägliche Routine der Gruppe ein. Alle werden zu einer Planungssitzung eingeladen, das Engagement wird kollektiv vorausgesetzt, und jede Person muss eine klare Vorstellung davon haben, was sie Tag für Tag oder Woche für Woche tun muss, um den entworfenen Plan erfolgreich umzusetzen.
In der Praxis
In der Berichterstattung können "Bestimmungsfragen" an alle Akteure gerichtet werden, die an der Situation beteiligt sind – Bürgerinnen und Bürger, Entscheidungsträger, Mitglieder verschiedener Gruppen usw. Entscheidungsträgern kannst Du beispielsweise Fragen stellen wie: "Was werden Sie als Erstes konkret zu diesem Thema unternehmen, und wann werden Sie das tun?", um dem Publikum zu helfen, sich Veränderungen vorzustellen, und um die Rechenschaftspflicht deutlich zu machen.
Womit können Sie morgen beginnen?
Was wird Ihr erster nächster Schritt sein? Wann werden Sie ihn tun? Was ist Ihr zweiter Schritt?
Mit wem können Sie diese nächsten Schritte teilen?
Was können Sie alternativ tun, wenn etwas schief geht oder nicht wie geplant verläuft?
Bevor wir fortfahren, eine Warnung von Gervase Bushe, einem der weltweit führenden Appriciative-Inquiriy-Berater: Während des Appreciative-Inquiry-Prozesses sollten die Befragten nicht daran gehindert werden, über das zu sprechen, was ihnen nicht gefällt oder was ihnen Unbehagen bereitet, denn das "wird die Leute wahrscheinlich abtörnen"(22). Stattdessen sollte man den Menschen Raum geben, ihre Gefühle und Erfahrungen mitzuteilen, und ihnen verstärkende, zukunftsorientierte Fragen stellen, z. B. "Wovon wollen Sie mehr?" (22).
Warum der Ansatz nichts mit Beschönigung zu tun hat
Genau wie Appreciative Inquiry wird auch der Lösungsjournalismus manchmal als Berichterstattung missverstanden, die sich auf "gute Nachrichten" konzentriert und Probleme ignoriert oder unterbewertet. Doch genau wie bei Appreciative Inquiry ist der Fokus des Lösungsjournalismus auf das, was funktioniert, viel mehr als nur eine „positive Brille“. Lösungsjournalismus ist eine rigorose Berichterstattung (23) über Lektionen, die man gelernt hat, "um die Öffentlichkeit und politische Entscheidungsträger darüber zu informieren, was funktioniert und was nicht" (24).
"Was mich an der derzeitigen Aufregung und dem Interesse an Appreciative Inquiry am meisten beunruhigt, ist die Tatsache, dass viele der Berater und Manager [...] von dem 'positiven Zeug' geblendet zu sein scheinen", sagt Bushe (22). Bei Appreciative Inquiry geht es jedoch nicht darum, positiv zu sein, sondern "generativ" (22). Ihm zufolge bedeutet das, dass man "auf der Suche nach neuen Ideen, Bildern und Theorien" ist, indem man "Entscheidungen und Handlungen zur Verfügung stellt, die uns vorher nicht zur Verfügung standen oder nicht in den Sinn kamen" (22) - etwas, mit dem sich viele Lösungsjournalistinnen und -journalisten wahrscheinlich sehr gut identifizieren können.
Bush sagt jedoch, dass der Transformationsprozess nicht einfach dadurch erreicht werden kann, "dass man die Menschen dazu bringt, ihre 'Best-of'-Geschichten zu erzählen" (22). Bei Appreciative-Inquiry-Prozessen müssen wir die Fragen sehr sorgfältig formulieren. Die obigen Fragen sind nur Beispiele und werden natürlich auf das jeweilige Thema und die Geschichte abgestimmt. Es gibt jedoch einige allgemeine Merkmale, die die meisten Appreciative Inquiry-Fragen aufweisen sollten (22):
Appreciative-Inquiry-Fragen sind bewusst so gestaltet, dass sie:
- überraschend und belebend sind;
- Neugierde und Kreativität wecken;
- emotionale Erfahrungen hervorrufen, die dazu führen, dass sich die Menschen untereinander oder mit dem Thema verbunden und beteiligt fühlen;
- das Geschichtenerzählen fördern;
- auf Wachstum, Fortschritt und Entwicklung fokussieren;
- gängige Annahmen in Frage stellen und neue Perspektiven eröffnen;
- eine breite Gruppe von Menschen einbeziehen, so dass sich die gesamte Gemeinschaft verpflichtet fühlt, den von ihr geplanten Wandel herbeizuführen.
Bushe, G. (2007). Bei Appreciative Inquiry geht es nicht (nur) um das Positive. OD Practitioner, 39, 30-35.
Über die Autorinnen der Serie
Margarida Alpuim ist eine portugiesische Psychologin und Journalistin. Sie hat ihren Master in Gemeindepsychologie an der Universität von Miami absolviert und sich dabei auf Themen rund um kollektives Wohlbefinden konzentriert. Als Journalistin möchte Margarida konstruktivere Wege gehen, um Geschichten zu erzählen und dabei sowohl das Publikum als auch Fachleute berücksichtigen. Heute arbeitet Margarida von Lissabon aus an innovativen Projekten, um Psychologie und Journalismus zusammenzubringen.
Katja Ehrenberg ist promovierte Psychologin und Professorin an der Hochschule Fresenius in Köln. Seit bald 25 Jahren lehrt, forscht und publiziert sie zu anwendungsnahen Themen der Sozial-, Kommunikations-, Organisations- und Gesundheitspsychologie. Als freie systemische Beraterin begleitet sie Teams und Einzelpersonen und genießt es, sozialwissenschaftliche Erkenntnisse für die unterschiedlichsten praktischen Herausforderungen im menschlichen (Arbeits-)Alltag nutzbar zu machen.
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