Einleitung
"Schnell! Der Beitrag muss bald raus. Was haben wir an Bildern dazu?" Das ist eine alltägliche Situation in Redaktionen, die viele Journalistinnen und Journalisten wahrscheinlich kennen. In vielen Medienhäusern ergibt sich ein paradoxes Szenario. Einerseits bauen diejenigen, die auf Webseiten und Social-Media-Plattformen wie Instagram, TikTok und YouTube veröffentlichen, in besonderem Maße auf Bilder, um ihre Geschichten zu erzählen. Auf der anderen Seite lässt der Druck, auf diesen Kanälen schnell und in hoher Frequenz zu publizieren, Medienschaffenden nur sehr wenig Zeit, um sich mit den wichtigen Entscheidungsprozessen rund um die Verwendung von Bildern zu befassen.
Tatsächlich steht die Zeit, die Journalistinnen und Journalisten sowie Redaktionen auf die Auswahl von Bildern zu einer Geschichte aufwenden, oft in keinem Verhältnis zu der Wirkung, die diese Bilder auf das Publikum haben.
Bilder sind die Eingangstüren zu Geschichten:
Sie können bestimmen, ob ein Artikel angeklickt wird oder nicht (1).
Sie reichern eine Geschichte mit Bedeutung an und lassen sie glaubwürdiger erscheinen (2).
Wenn sie nicht sorgfältig ausgewählt sind, können sie das Publikum verwirren (3).
Sie können buchstäblich den physiologischen Zustand (4), die Emotionen (5) und das Gedächtnis (6) von Menschen beeinflussen.
Was können Reporterinnen und Reporter, Fotojournalistinnen und -journalisten sowie Redaktionen tun, um sicherzustellen, dass Bildauswahl und Framing verantwortungsvoll und konstruktiv erfolgen?
In diesem Artikel aus der Bonn-Institute-Serie "Psychologie im Journalismus" findest Du:
- Grundlagenwissen dazu, wie Bilder im Gehirn verarbeitet werden.
- reale Beispiele, die veranschaulichen, warum Bilder ein so mächtiges Werkzeug sind, und warum die Verwendung von Bildern im Journalismus sorgfältig und verantwortungsbewusst erfolgen muss.
- eine Checkliste mit „Good Practices“, um Bilder für Deine Beiträge auszuwählen und zu framen.
Auch wenn die Macht von Bildern für alle Arten von Medien gilt, konzentrieren wir uns in diesem Artikel hauptsächlich auf Beispiele aus dem digitalen und dem Print-Journalismus. Viele der Grundsätze gelten gleichermaßen für Videojournalismus und sollten dort ebenso berücksichtigt werden.
Wie das Gehirn Bilder verarbeitet
Die Wissenschaft beforscht nach wie vor, wie genau visuelle Information im Gehirn verarbeitet wird – und einige aktuelle Hypothesen gelten durchaus als umstritten (z. B. 7). Aber es gibt ein Grundverständnis der Prozessschritte:
Zunächst werden die visuellen Reize von bestimmten Augenzellen, den Fotorezeptoren, empfangen, die das Licht in elektrische Signale umwandeln, die dann an das Gehirn gesendet werden (8).
Anschließend werden diese Signale verarbeitet und die Objekte oder andere Reize werden erkannt, indem die visuellen Reize mit bereits im Gehirn gespeicherten Informationen verglichen werden – so erkennen Menschen zum Beispiel selbst stark vereinfachte Comicfiguren als das Tier, das sie darstellen sollen (9).
Durch direkte Verschaltung der Hirnregionen ist die Amygdala einer der Bereiche, der eng mit visuell wahrgenommenen Inhalten interagiert. Sie ist von zentraler Bedeutung für emotionale Reaktionen (10).
Während neurotypische Gehirne Bilder biologisch mehr oder weniger auf die gleiche Weise verarbeiten, ist deren Interpretation alles andere als universell. So können manche Bilder – wie das eines großen Hundes – bei manchen Menschen Freude hervorrufen, während sie bei anderen Angst auslösen. In ähnlicher Weise werden Bilder von Objekten aus einer Kultur oder Community nur von Personen (richtig) verstanden, die mit den entsprechenden Konzepten dieser Kultur vertraut sind. Ein Bild von jemandem, der Embleme einer bestimmten Subkultur trägt, kann für diejenigen unmittelbar mit Bedeutung und Sympathie oder Antipathie aufgeladen sein, die die Codes verstehen (z. B. subtile Symbole im Schmuck, Arten eine Kappe zu tragen, bestimmte Farben oder bestimmte Tattoos). Für andere, die diese Subkultur und ihre "Sprache" nie kennengelernt haben, bleiben sie weitgehend bedeutungslos.
Warum sind Bilder so wirkungsstark?
Bilder sind ziemlich unmittelbar.
Menschen können ein Bild augenblicklich verarbeiten – buchstäblich. Eine MIT-Studie aus dem Jahr 2014 ergab, dass wir ein Bild in nur 13 Millisekunden erkennen können, etwa so schnell wie wir blinzeln (11). Einige Studien deuten darauf hin, dass es getrennte neuronale Netzwerke für die Verarbeitung von bildhaften und verbalen Darstellungen von Emotionen gibt (12) und dass visuelle Reize vom Gehirn schneller verarbeitet werden als Worte (z. B. 13 und 14).
Journalistinnen und Journalisten müssen dies sehr bewusst berücksichtigen: Menschen können sich entscheiden, keine Nachrichten zu lesen, kein Radio einzuschalten oder keinen Podcast zu hören, aber sie werden Bilder, die beispielsweise in der Zeitung, auf Websites oder in den sozialen Medien veröffentlicht wurden, nicht ausblenden können.
Bilder wirken schneller und stärker auf Gefühle als Worte.
Wie bereits erwähnt, ist nicht nur der visuelle Kortex beteiligt, wenn wir ein Bild "sehen". Auch die Hirnregion für die emotionale Verarbeitung wird aktiviert. Die Amygdala zum Beispiel "gilt als die wichtigste Hirnregion, wenn es um die Effekte visueller Bilder auf Furcht, Angst und Schmerz geht”. (15). Darüber hinaus können Bilder entsprechende physiologische Reaktionen auslösen, wie z. B. einen Anstieg der Herzfrequenz und des Blutdrucks, schwitzende Handflächen oder ein flaues Gefühl im Magen (4).
Viele Studien haben gezeigt, dass negative visuelle Reize, wie Darstellungen von Gewalt oder Angst, eine stärkere emotionale Reaktion hervorrufen als positive, wie die von Freude oder Liebe (12) (mehr über Negativität findest Du in Teil 1 dieser Serie).
Medienschaffende müssen sich darüber im Klaren sein, dass negative Bilder zu posttraumatischem Stress führen können – nicht nur für diejenigen, die selbst ähnliche Situationen erlebt haben, sondern auch für das Publikum, das die Ereignisse nur über die Nachrichten mitbekommt, und für die Reporterinnen und Reporter, die darüber berichten. Mehr dazu im Abschnitt “Traumatisierung" (siehe unten).
Darüber hinaus deuten neuere Studien darauf hin, dass Beiträge in sozialen Medien mit positiven Bildern (im Vergleich zu negativen) mehr visuelle Aufmerksamkeit und "eine höhere Bereitschaft zum Klicken und Teilen" hervorrufen können (16).
Bilder sind einprägsamer.
Menschen erinnern sich eher an Informationen, die in Form von Bildern präsentiert werden, als an Informationen in Textform. Es gibt zwei Gründe für diesen sogenannten Picture Superiority Effect (6):
- Bei Bildern werden eher sowohl bildliche als auch verbale Repräsentationen bei der Kodierung im Gehirn verwendet (sogenanntes Dual-Coding), was den Abruf aus dem Gedächtnis erleichtert (17).
- Verglichen mit Text sind Bilder einzigartiger und haben ausgeprägtere visuelle Merkmale (Modell der Distinktheit; 18).
Außerdem scheinen Bilder stärkere affektive Reaktionen und mehr Engagement hervorzurufen (19), was wiederum den Abruf aus dem Gedächtnis zu fördern scheint (20).
Die Erinnerbarkeit von Informationen ist im Journalismus von großer Bedeutung, unter anderem, weil Nachrichten den Menschen helfen, die Welt besser zu verstehen und besser informierte Entscheidungen zu treffen. Beide Effekte basieren zum Teil auf Gedächtnis. Deshalb verwenden Journalistinnen und Journalisten oft Grafiken und Infografiken, wenn es darum geht, schwer greifbare Informationen zu präsentieren. Ein Beispiel dafür ist der Pulitzerpreis für illustrierte Berichterstattung und Kommentare im Jahr 2023. Der Preis ging an Mona Chalabi, freie Mitarbeiterin der New York Times, für eine Reihe von Illustrationen, „die statistische Berichte mit klaren Analysen kombinieren“ und der Leserschaft helfen, den immensen Reichtum von Amazon-Gründer Jeff Bezos zu erfassen. Auf der Webseite der Pulitzer Preise findest Du einige der Illustrationen — und hier kannst Du den New-York-Times-Artikel nachlesen.
Bilder lassen Inhalte “wahrer” wirken
Nicht zuletzt tragen Bilder auch zum wahrgenommenen Wahrheitsgehalt von Aussagen bei (2): In entsprechenden Experimenten werden die Teilnehmenden gebeten, verschiedene Aussagen zu weniger bekannten Themen als wahr oder falsch zu bewerten (z. B. „Giraffen sind die einzigen Säugetiere, die nicht springen können“). Wenn die Aussagen mit einem inhaltlich passenden Foto — z. B. von fressenden Giraffen — gezeigt werden, werden sie eher als wahr eingestuft, obwohl das Foto keine zusätzliche relevante Information zur fraglichen Behauptung liefert.
Der Effekt wird in der Regel durch ein Gefühl von leichterer Informationsverarbeitung erklärt, das dann fälschlicherweise auf Vertrautheit mit der Behauptung zurückgeführt wird (2; siehe Teil 1 dieser Serie zur Verfügbarkeitsheuristik und zum Illusory Truth Effekt).
Angesichts der starken Auswirkungen, die Bilder auf Menschen haben, gibt es einige Aspekte, auf die Journalistinnen und Journalisten besonders sorgfältig achten sollten, wenn sie mit visueller Information arbeiten. Zwei davon führen wir hier noch weiter aus: Bildauswahl und Framing von Bildern in Nachrichten.
Bildauswahl
Weil Bilder ein immer wichtigeres Element in allen Arten von Journalismus werden, sollte die Bildauswahl nicht in letzter Minute getroffen oder als zweitrangig betrachtet werden.
Ein Thema, bei denen Journalistinnen und Journalisten sowie Redaktions-Verantwortliche sehr sensibel sein sollten, wenn es um die Verwendung von Bildmaterial geht, ist Repräsentation.
Wenn manche Dinge nur selten gezeigt werden, ist es fast so, als würden sie nicht existieren oder als wären sie nicht möglich. Andererseits führt eine hohe Verfügbarkeit von bestimmten Informationen im Gedächtnis dazu, dass die Menschen diese Beispiele für wahrscheinlicher halten, als sie tatsächlich sind (siehe Teil 1 dieser Serie). Eine größere Vielfalt in Darstellungen wird daher zu einem angemesseneren Weltbild beitragen.
Sieh Dir die beiden folgenden Bilder an, die zur Veranschaulichung der COVID-Impfbemühungen in Kenia dienen – der erste Artikel handelt von Afrika im Allgemeinen.
Beide Bilder zeigen Szenen in Kenia und stammen aus Agenturdatenbanken. Auf dem ersten Bild sitzt die Frau, die fotografiert wird, im Freien in einer scheinbar ländlichen Umgebung, während das zweite Bild Personal in einem Krankenhaus zeigt.
Auch wenn dies ein veraltetes Beispiel zu sein scheint, ist es das leider nicht. Viele afrikanische Staaten werden nach wie vor oft mit ländlichen Kontexten porträtiert, die Fortschritt und Reichtum in urbanen Räumen außen vor lassen. Ist das erste der beiden oberen Bilder falsch? Nein. Erzählt es die ganze Geschichte? Ebenfalls nein. Vielmehr stellt sich die Frage, warum dieses Motiv einer Impfung unter freiem Himmel mitten im Feld im ersten Beispiel gewählt wurde, da auf ein solches Setting weder in Titel oder Teaser noch im Inhalt des Textes direkt Bezug genommen wird.
Um einer solchen Tendenz entgegenzuwirken, die oft einseitige Darstellungen von Elend, Armut und Konflikten beinhaltet, ist es wichtig, dass Journalistinnen und Journalisten nicht in die Falle tappen, stereotype Bilder zu verwenden, wenn sie ein generisches Thema wie „Impfungen in Kenia“ bebildern möchten. Stattdessen sollten sie vielmehr überlegen, wie sie das Licht auf weniger klischeehafte Aspekte lenken können.
Zum Beispiel haben einige afrikanische Journalistinnen und Journalisten Projekte entwickelt, die die Bildsprache abwechslungsreicher gestalten. The Republic, ein nigerianisches Magazin für "seriösen Journalismus aus einer afrikanischen Perspektive" (in ihren eigenen Worten), berichtet über Wissenschaft und Technologie, Kultur und Gesellschaft sowie den Klimawandel. Das Start-Up Egab gibt Journalistinnen und Journalisten im Nahen Osten und in Afrika die Möglichkeit, lokale „inspirierende Geschichten“ – wie sie sie nennen – auf regionalen und internationalen Kanälen zu veröffentlichen.
Nun stell Dir vor, Du schreibst über Menschen, die nach einem Krieg in ihre Heimatstadt zurückkehren. Welche Art von Bildern würdest Du für Deine Geschichte wählen? Vielleicht würdest Du (naheliegenderweise) eine Darstellung von Trümmern und zerstörten Gebäuden in Betracht ziehen, wie diese hier:
Was wäre, wenn Du auch Bilder der Hoffnung auf eine bessere Zukunft einbauen würdest? Sieh Dir zum Beispiel die folgenden zwei Bilder aus einer Dokumentation über die Rückkehr einer Mutter und ihres Sohnes in ihr Haus im ukraninischen Irpin im Juni 2022 an. Zuvor hatten sie fast drei Monate in Portugal verbracht, wo sie bei Kriegsbeginn Zuflucht gefunden hatten (Dokumentarfilm und Multimediaarbeit von Catarina Santos, Diogo Ventura und Team von Observador, einem der größten portugiesischen Online-Medien).
Da Bilder besonders fesselnd sind (19), geht eine konstruktive Bildauswahl Hand in Hand mit lösungsorientiertem Journalismus, der die Menschen nachweislich zufriedener macht und stärkeres Engagement hervorruft als problemorientierte Berichterstattung (21).
Immer mehr Redaktionen machen sich dies zunutze: Eine Studie aus dem Jahr 2018 zeigte, dass nur 63 % der analysierten Lösungsartikel von Bildern begleitet wurden, die Lösungen darstellen (3); eine andere Studie zum gleichen Thema aus dem Jahr 2019 fand Lösungsbilder in 85 % der entsprechenden Beiträge (21).
Im Abschnitt Tools in diesem Artikel sind konkrete Tipps aufgeführt, um dieses Ziel zu erreichen.
Framing bei Nachrichtenbildern
Susan Sontag, eine bekannte amerikanische Schriftstellerin und Aktivistin, die viele Aufsätze über Fotografie geschrieben hat, sagt in ihrem Buch Regarding the pain of others: "Das fotografische Bild [...] ist immer das Bild, das jemand ausgewählt hat; fotografieren heißt framen, und framen heißt ausschließen" (22, S. 39).
Framing in der Nachrichtenfotografie kann die Interpretation eines Ereignisses verändern. Ein gutes Beispiel dafür ist das Bild eines irakischen Soldaten mit zwei US-amerikanischen Soldaten an seiner Seite, aufgenommen während des Irak-Kriegs 2003 von Itsuo Inouye für Associated Press.
Je nachdem, wie man das Bild zuschneidet, ändert sich das Narrativ vollständig: Wenn man nur die linke Seite sichtbar lässt, ist alles, was man sieht, ein US-amerikanischer Soldat, der einem irakischen Soldaten eine Waffe an den Kopf hält; wenn man dasselbe mit der rechten Seite tut, sieht man nur einen US-amerikanischen Soldaten, der dem irakischen Soldaten Wasser gibt. Keines dieser beiden Bilder erzählt die ganze Geschichte, und es wäre trügerisch, eines von beiden ausschließlich zu verwenden.
Genau das wollte Ursula Dahmen vom Tagesspiegel vermitteln, als sie mit diesem Foto eine Montage für die Ausstellung "Bilder, die lügen" schuf, die in Zusammenarbeit mit der Stiftung "Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" in Bonn entwickelt wurde.
Oft ist ein Bild auch bereits zugeschnitten worden – im Moment der Aufnahme, von der Person, die es fotografiert hat. Die Illustration von Tim Stadie auf dem „Cover“ zu diesem Artikel ist ein gutes Beispiel dafür – Framing einer Kundgebung.
Konstruktiver Journalismus plädiert für Perspektivenreichtum: Wenn viele unterschiedliche Blickwinkel einbezogen werden, ist es wahrscheinlicher, dass die Welt in ihrer Komplexität dargestellt wird, was eine zu starke Vereinfachung oder einen irreführenden Fokus vermeidet und Raum für verschiedene mögliche Reaktionen schafft.
Beim Framing kann es auch darum gehen, Informationen zu kontextualisieren, um einen tieferen, gründlicheren Blick auf die Realität zu werfen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Update des Wetterteils in den französischen Tagesnachrichten auf den TV Kanälen France 2 und France 3. Seit März 2023 heißt er "Météo Climat". Die Idee ist, die täglichen Wetterinformationen in den Kontext des Klimawandels zu stellen. Auf einem Bildschirm wird eine Farbskala mit der Entwicklung der Temperatur innerhalb eines bestimmten Zeitraums angezeigt; je nach Thema des Tages werden andere Grafiken verwendet; und es gibt ein kurzes Video, in dem ein Experte oder eine Expertin die Fragen der Zuschauenden beantwortet.
Ein ergänzender Hinweis: Traumatisierung
Wie wir bereits gesehen haben, sind Bilder so wirkmächtig, dass sie starke körperliche Reaktionen hervorrufen können. Ein Sonderfall ist posttraumatischer Stress, der durch Nachrichten über beunruhigende Ereignisse wie Krieg, Terroranschläge, Pandemien oder andere schwere Gesundheitskrisen, zwischenmenschliche Gewalt oder Naturkatastrophen ausgelöst werden kann (23).
Zu den Symptomen von posttraumatischem Stress gehören zum Beispiel: sehr häufiges Nachdenken über die Situation; sich aufdrängende Gedanken, die das normale „Funktionieren“ im Alltags spürbar einschränken; unkontrolliertes Wiedererleben des Erlebten in sogenannten Flashbacks, die durch Orte, Bilder oder Informationen ausgelöst werden können, die mit dem Ereignis assoziiert sind; das Gefühl, die meiste Zeit hoffnungslos, ängstlich, deprimiert und/oder müde zu sein; keine Freude mehr an Dingen zu haben, die einem früher Freude gemacht haben (23; siehe auch The Self-Investigation, eine gemeinnützige Organisation, die sich für die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden von Journalistinnen und Journalisten einsetzt).
Es ist offensichtlich, dass Journalistinnen und Journalisten bei ihrer Berichterstattung auf diejenigen Rücksicht nehmen müssen, die von dem traumatischen Ereignis direkt betroffen waren oder selbst Ähnliches erlebt haben. Was überraschen mag, ist, dass ähnliche Symptome wie posttraumatischer Stress, Angst- und Erschöpfungszustände auftreten können, wenn man "nur" die Medienberichterstattung über potenziell traumatisierende Ereignisse intensiv verfolgt. Mehrere Studien haben gezeigt, dass die Symptome von posttraumatischem Stress in einigen Fällen sogar bei denjenigen schwerer ausfallen können, die den Ereignissen nicht direkt ausgesetzt waren (24), wie z.B. bei den Terroranschlägen vom 11. September 2001 oder der COVID-19-Pandemie (25), weil die Berichterstattung in den Medien die Menschen wieder und wieder bis in ihre Wohnzimmer hinein damit konfrontiert, was schließlich zu einer sogenannten stellvertretenden oder sekundären Traumatisierung führen kann.
Was kannst Du als Journalistin oder Journalist tun, um die Auswirkungen von posttraumatischem Stress beim Publikum zu mildern?
Füge Warnhinweise ein, bevor du verstörende Bilder zeigst, oder, im Fall von Online-Medien, zeige zunächst verschwommene oder verpixelte Bilder und stelle die Klarversion nur auf aktive Anfrage (z. B. durch Anklicken) zur Verfügung (26).
Gleiche Bilder von Leid aus mit Bildern, die Hoffnung vermitteln oder die Maßnahmen zeigen, die Menschen ergreifen können, um die Situation zu bewältigen.
Informiere in der Berichterstattung über verfügbare Ressourcen zu psychischer Gesundheit (z.B. Beratungsstellen, Unterstützungsorganisationen, professionell entwickeltes Selbsthilfematerial).
Tools und Tipps
Good Practice für Journalistinnen und Journalisten sowie Redaktionen bei der Auswahl und Gestaltung von Bildern:
Denke Bilder von Anfang an mit. Beginne, die Auswahl und Einbettung von Bildern explizit in den Zeitplan des Publikationsprozesses zu integrieren.
Verwende Fotos, die speziell auf die jeweilige Geschichte zugeschnitten sind. Wenn Du mit einem Fotografen oder einer Fotografin zusammenarbeitest, tauscht Euch von Anfang an über Eure Ideen aus und legt gemeinsam Leitplanken fest oder erstellt ein Konzept. Forschungsarbeiten zeigen, dass die Berichterstattung als präziser wahrgenommen wird, wenn die Fotos speziell für eine Geschichte aufgenommen wurden (3). Auch eine Zusammenarbeit mit der Design- oder Programmierabteilung ist äußerst lohnenswert, wenn Du eine andere Art von Visualisierung verwenden möchtest, z. B. Diagramme, Illustrationen oder Grafiken.
Wenn Du planst, Stockfotos oder Bilder aus einer Agenturdatenbank zu verwenden:
- Prüfe auch hier frühzeitig, ob und welches Bildmaterial zur Verfügung steht – nicht erst, wenn der Artikel fertig ist – und denke bei der Erstellung des Textes an das Bildmaterial.
- Plane genügend Zeit dafür ein, das richtige Bild zu finden. Der Auswahlprozess kann langwierig sein.
- Achte darauf, dass die Bedeutung des jeweiligen Bildes klar ist und nicht vage bleibt. Überlege auch sehr genau, wann und wie Du abstrakte Bilder verwendest; sie können verwirrend oder schwer verständlich sein und das Publikum schlecht informiert zurücklassen.
- Irritiere nicht zusätzlich, indem Du ein Bild von einem Ort, aus einer Jahreszeit oder von einer Community verwendest, die nicht mit dem Ort, der Zeit oder den Personen Deines Beitrags übereinstimmen.Achte darauf, Bilder auszuwählen, die den gleichen Ton wie Deine Geschichte vermitteln – wenn das Bild erneut das Problem (und nicht eine mögliche Lösung) veranschaulicht, wird dies wahrscheinlich die Botschaft sein, die vorrangig beim Publikum hängen bleibt.
Versuche, mehr als ein Bild zu verwenden, um so viele Nuancen wie möglich zu repräsentieren. Versuche, ein Gleichgewicht zwischen Bildern von Problemen und Lösungsansätzen zu finden.
Bilder sollten das Publikum gegebenenfalls auch emotional ansprechen. Verzichte darauf, ein Bild als bloße Illustration eines Themas zu verwenden.
Rege zur Humanisierung an. Setze den Fokus auf Einzelpersonen, zwischenmenschliche Interaktionen und emotionale Momente. Wähle vielseitige Bilder, die Menschen in ihrer Diversität und Komplexität darstellen, und vermeide Vereinfachungen oder Klischees. Vermeide Viktimisierung; prüfe stattdessen, wie Du Personen, die von negativen Ereignissen betroffen sind, als aktive Akteurinnen und Akteure zeigen kannst (siehe analog dazu "Die Macht der Sprache", Teil 2 dieser Serie und 26).
In der Klimaberichterstattung wecken Bilder von Lösungen oder Alternativen tendenziell stärkere Gefühle von Hoffnung und Selbstwirksamkeit – und beugen so beim Publikum dem Gefühl vor, dass es nichts tun kann (28). Vermeide auch, extreme Klimaereignisse mit positiven Bildern zu verbinden, z. B. indem Berichte über Hitzerekorde mit Menschen illustriert werden, die fröhlich im Meer schwimmen. (Mehr über die Förderung des Gefühls, etwas verändern zu können, erfährst in einem Artikel zu Selbstwirksamkeit und Klimaberichterstattung, der ebenfalls im Rahmen dieser Serie in nächster Zeit erscheinen wird).
Wenn Du konstruktives Bildmaterial in der Kriegsberichterstattung in Betracht ziehst:
- Nimm Dir die Zeit, den Zweck des Bildes zu hinterfragen, das Du wählst (warum gerade dieses und nicht ein anderes?); wähle ein konkretes und aussagekräftiges Bild aus, und überlege, welche Wirkung es haben könnte (26).
- Biete Informationen über Ressourcen zur Unterstützung zu psychischer Gesundheit und posttraumatischem Stress an.
Die Macht, die Bilder ausüben, ist nicht nur eine intrinsische Eigenschaft – sie ist auch ein Werkzeug, das Journalistinnen und Journalisten nutzen können und für das sie Verantwortung übernehmen sollten. Journalistinnen und Journalisten haben die Möglichkeit - und die Verantwortung - zu entscheiden, wie die Welt (in den Nachrichten) abgebildet wird. Journalistinnen und Journalisten haben Möglichkeit, zu vermeiden, dass andere portraitiert werden als "nur jemand, der gesehen wird, und nicht als jemand (wie wir), der auch sieht", wie Susan Sontag es in Bezug auf die Darstellung von Konflikten in bestimmten Teilen der Welt treffend formuliert (22). Schließlich würden wir alle wollen, dass wir selbst und unsere Geschichten respektvoll und sorgfältig dargestellt werden. Der konstruktive Umgang mit Bildern steht im Einklang mit einer menschenfreundlichen, konstruktiven Berichterstattung und stärkt diese.
Weiter erkunden
Das Leiden anderer betrachten, Buch von Susan Sontag.
How to see the world, Buch von Nicholas Mirzoeff.
Ways of Seeing von John Berger, eine Fernsehserie, die 1972 von der BBC ausgestrahlt wurde, und ein Buch, das im selben Jahr unter demselben Titel veröffentlicht wurde.
How Diversity in Medical Illustrations Can Improve Healthcare Outcomes (Wie Vielfalt in medizinischen Illustrationen die Gesundheitsversorgung verbessern kann), TedTalk von Chidiebere Ibe, einem nigerianischen medizinischen Illustrator, der für die berühmte Illustration einer schwarzen schwangeren Frau mit einem schwarzen Fötus bekannt ist, über die Auswirkungen der Aufnahme schwarzer Illustrationen in medizinische Lehrbücher.
Weitere Artikel zur Serie „Psychologie im Journalismus“ findest Du auf dieser Übersichtsseite.
Über die Autorinnen der Serie
Margarida Alpuim ist eine portugiesische Psychologin und Journalistin. Sie hat ihren Master in Gemeindepsychologie an der Universität von Miami absolviert und sich dabei auf Themen rund um kollektives Wohlbefinden konzentriert. Als Journalistin möchte Margarida konstruktivere Wege gehen, um Geschichten zu erzählen und dabei sowohl das Publikum als auch Fachleute berücksichtigen. Heute arbeitet Margarida von Lissabon aus an innovativen Projekten, um Psychologie und Journalismus zusammenzubringen.
Katja Ehrenberg ist promovierte Psychologin und Professorin an der Hochschule Fresenius in Köln. Seit bald 25 Jahren lehrt, forscht und publiziert sie zu anwendungsnahen Themen der Sozial-, Kommunikations-, Organisations- und Gesundheitspsychologie. Als freie systemische Beraterin begleitet sie Teams und Einzelpersonen und genießt es, sozialwissenschaftliche Erkenntnisse für die unterschiedlichsten praktischen Herausforderungen im menschlichen (Arbeits-)Alltag nutzbar zu machen.
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