In einem Krieg oder über einen Krieg zu berichten, bedeutet, Teil des Konflikts zu sein. Es spielt eine Rolle, worüber und auch worüber nicht berichtet wird. Sehr häufig betrifft es unmittelbar das Leben derjenigen, die vom Krieg betroffen sind. Manchmal beeinflusst es sogar das Kriegsgeschehen selbst.
Dies bedeutet, dass Medien, die überwiegend oder sogar ausschließlich über diejenigen berichten, die Krieg führen, mit ihrer Berichterstattung dazu beitragen, genau diesen Personen - also der politischherrschenden Klasse eines Landes, Soldatinnen und Soldaten und Kriegsherren – noch mehr Macht zu verschaffen. Sie bieten ihnen eine weitere Bühne, unabhängig davon, ob sie es wollen oder nicht. Das gilt besonders für Bilder und Videos.
Meiner Ansicht nach wäre es besser, sich mit der Berichterstattung auf die Menschen im Kriegsgebiet zu konzentrieren. Es geht darum, ihre Geschichte zu erzählen, zu versuchen, sie zu verstehen, zu zeigen, worunter sie leiden, und was ihnen helfen würde.
Diese Menschen haben ein Leben vor und werden hoffentlich auch ein Leben nach dem Krieg haben. Sie sollten nicht als Opfer dargestellt werden. Deswegen ist es wichtig, nicht nur ihren Schmerz und ihre Angst zu zeigen, sondern auch ihre Stärke und ihre Resilienz. Bei Interviews kann man zum Beispiel fragen, was ihnen Mut macht, ihnen hilft, und worauf sie ihre Hoffnung gründen.
Es gilt, die Expertise von Medienschaffenden vor Ort anzuerkennen. Wer neu ist, schätzt Situationen oft falsch ein.
Für die Arbeit als Reporter und Korrespondent ist es wichtig, so schnell es geht, die Sprache des Einsatzlandes zu lernen. Und die Expertise von Kolleginnen und Kollegen von vor Ort anzuerkennen. Ihre Urteilskraft, ihr Wissen und ihr Einschätzungsvermögen gilt es zu respektieren, denn die Wahrscheinlichkeit, dass man als Neuankömmling Stereotype und Vorurteile mitbringt und Situationen falsch einschätzt, ist hoch. Sie kann im schlimmsten Fall sogar tödlich sein.
Bei Einsätzen in Kriegs-und Konfliktregionen ist es auch unerlässlich, auf die eigene Sicherheit und die Sicherheit der Menschen zu achten, die interviewt werden. Keine Geschichte der Welt ist es wert, dass jemand stirbt.
Wer vor Beginn eines Kriegs noch nie über das Land berichtet hat, das nun zum Kriegsgebiet geworden ist, sollte sich fragen, warum er dies ausgerechnet in dieser Situation tun will. Adrenalin, Abenteuerlust und das Gefühl, zu erleben, wie Geschichte geschrieben wird, können mögliche Gründe sein. Es sollten aber nicht die einzigen bleiben!
Krieg ist destruktiv. Er macht Menschen kaputt, auf allen Seiten. Das gilt auch für Medienschaffende, die darüber berichten. Egal, wie hektisch, brutal und dringend eine Situation erscheinen mag, in der man sich befindet und über die man berichtet: Man sollte immer wieder über die eigene Rolle nachdenken. Eine unreflektierte Berichterstattung kann Schaden verursachen – für einen selbst und für die Leute, über die man berichtet.
Das ist nicht einfach. Vielleicht ist es sogar der schwierigste Teil der Berichterstattung aus einem Kriegsgebiet. Es ist aber immer und unter allen Umständen absolut notwendig. Medien können gerade bei der Berichterstattung über Kriege und Krisen auch Waffengewalt als politisches Konzept in Frage stellen und immer wieder über alternative Formen von Politik berichten. Sie können über Menschen berichten, die sich für Frieden einsetzen –auch dann, wenn er gerade weit weg zu sein scheint.
Bio
Ronja von Wurmb-Seibel studierte Politikwissenschaften in München. Bevor sie sich 2013 selbständig machte, arbeitete sie als Redakteurin im Politikressort der ZEIT. Als Reporterin in Kabul hat sie gelernt, Geschichten so zu erzählen, dass sie Mut machen.
In ihrem Buch »Ausgerechnet Kabul« (256 Seiten, DVA, 2015) schreibt sie über ihre Zeit als junge Frau in Afghanistan. Ihr neues 2022 erschienenes Buch »Wie wir die Welt sehen« beschäftigt sich mit der Dominanz negativer Nachrichten.
Mehr Infos zur Autorin und zu ihren Büchern unter www.vonwurmbseibel.com.