Hat die ZEIT ihren Lesern geholfen, durch die Corona-Pandemie zu kommen?
Wir haben den Menschen dabei geholfen, in diesen extrem herausfordernden Zeiten gut informiert zu bleiben. Ob eine Zeitung auch Lebenshilfe sein soll, das weiß ich nicht. Ich glaube zwar, dass wir nicht das Gefühl hinterlassen sollten, sich nach der Lektüre am liebsten die Bettdecke über den Kopf ziehen zu wollen, aber natürlich dürfen wir nichts verschweigen, Kritik unterlassen oder einen Missstand beschönigen.
Dieser Ansatz scheint sich für die Zeit ausgezahlt zu haben.
Wir können unser Glück noch gar nicht richtig fassen, aber wir konnten in den Monaten der Pandemie unsere Auflage stark steigern. Deshalb haben wir unsere neuen Leserinnen und Leser gefragt: Warum habt ihr ausgerechnet jetzt zur ZEITgegriffen? Eine häufige Antwort war: Ihr habt die Probleme weder verharmlost noch zu sehr ins Alarmistische gezogen. Daraus schließe ich, dass wir einen Ton gefunden haben, der einen auch in schwieriger Zeit nicht mutlos macht.
Was war Ihre Erfolgsstrategie?
Ein Faktor war die Konzentration auf Daten-und Wissenschaftsjournalismus. Die Kolleginnen und Kollegen in Print und Online haben etwas gemacht, was uns auch vorher schon gutgetan hätte: Sie haben das Bemeinen, also das Wertende oder Kommentierende, etwas in den Hintergrund geschoben und sich stattdessen auf das Schildern, das Empirische, auf die Fakten und die Recherche konzentriert.
„Was ist das Extra, das ihr uns gebt?“
Einer der Gründe für die Akzeptanz, die die ZEIThat, liegt auch darin, dass wir uns bemühen, ein Minimum an Fairness walten zu lassen. Auch bei Figuren, die sich besonders als Bösewichte eignen. Das Fiese, das Beschimpfen, die Unterstellungen, das findet ja im Netz statt. Ich bin davon überzeugt, dass Menschen, die eine Zeitung kaufen oder eine Sendung im Radio oder Fernsehen verfolgen, dieses Programm nicht noch einmal haben wollen. Die wollen etwas anderes.
Ein konstruktives Programm?
Wir haben immer gesagt: Die Leserinnen und Leser müssen irgendetwas in der ZEIT entdecken, was für ihr eigenes Leben einen Gewinn bringt, zum Beispiel eine Anregung, mit der sie etwas anfangen können. Das ist unser Ansatz. Wir sind inzwischen sogar wissenschaftlich als Musterbeispiel für konstruktiven Journalismus durchleuchtet worden. Bei der ZEIT haben wir mit konstruktiven Geschichten angefangen, als wir eine große Flaute an relevanten Themen hatten. Wir haben gemerkt, dass beispielsweise die detaillierte Ausleuchtung von Machtkämpfen innerhalb der Parteien überhaupt nicht interessiert. Oder dass die Berichterstattung über die Wahlen in den USA, früher die meistverkaufte Ausgabe des Jahres, nicht mehr zog. Warum? Weil sich die Leute die aktuellen Geschichten woanders holen. Also haben wir angefangen, nach Geschichten zu suchen, die eine emotionale Aktualität haben. Wir müssen ein Gefühl abholen und ein Interesse bedienen, das auch in der Woche nach dem Erscheinen der ZEIT noch eine Rolle spielt. Ich glaube, dass die Leute sagen: Das Aktuelle macht ihr sowieso, das erwarten wir. Aber was ist das Extra, das ihr uns gebt? Das ist die zentrale Frage.
Giovanni di Lorenzo
Chefredakteur DIE ZEIT ,TV-Moderator, Buchautor
Er hat ein Gespür für emotionale Aktualität. Und er hat das Lesepublikum der Zeit zu einer Art Großfamilie zusammengeschweißt. Giovanni di Lorenzo ist bemüht, stets den richtigen Ton zu treffen und Leserinnen und Lesern mit den Krisen und Katastrophen dieser Welt nicht allein zu lassen. Ein Gespräch über die Anfänge und die Zukunft von lösungsorientierter Berichterstattung und Qualitätsjournalismus in der Corona-Krise.