Der Journalismus liegt auf der Couch. Kann er mithilfe von Datenjournalismus therapiert werden?
Datenjournalismus kann die journalistische Arbeit weiter entwickeln. Erstens, weil die Auswertung von Daten dazu beiträgt, Themen inhaltlich neu aufzuarbeiten und zu hinterfragen. Zweitens entsteht eine eigene solide Faktenbasis. Zudem sind Daten-Teams ein herausragendes Beispiel für kollegiales Arbeiten über Redaktionsgrenzen hinweg und für offenen Austausch. Sie verkörpern eine Art Open Source Ansatz im Journalismus –trotz der Konkurrenz zwischen den unterschiedlichen Medienhäusern.
Ein Beispiel, bitte.
Zum Beispiel die gemeinsame Recherche der Daten-Teams von Spiegel und dem Data-Team des Bayerischen Rundfunkszum Algorithmus der Wirtschaftsauskunftei Schufa („Black Box Schufa. Warum viele Menschen unverschuldet zum Risiko erklärt werden“). Ziel war es herauszufinden, ob der Algorithmus der Schufa diskriminiert –ob es also für Menschen mit bestimmten Eigenschaften strukturell schwieriger ist, eine gute Bewertung ihrer Kreditwürdigkeit zu erhalten. Die Schufa selbst hat uns keine Daten zur Verfügung gestellt, aber über Crowdsourcing haben wir tatsächlich über 2.000 Menschengefunden, die ihre Schufa-Auskunft sozusagen gespendet haben. Diese Daten haben wir digitalisiert, gesäubert und ausgewertet. Es hat sich gezeigt, dass junge Männer schlechtere Chancen haben, eine gute Bewertung bei der Schufa zu bekommen.
„Datenjournalismus kann dazu beitragen, dass Fairnessfragen gesellschaftlich diskutiert werden”
Denn in dieser Bevölkerungsgruppe gibt es mehr Fälle, in denen Kredite nicht zurückgezahlt werden. Das führt dazu, dass junge Männer schlechter bewertet werden, auch wenn sie individuell kreditwürdig sind. Der Datenjournalismus kann mit solchen Recherchen dazu beitragen, dass die Fairnessfragen, die sich aus solchen Ergebnissen ergeben, gesellschaftlich überhaupt diskutiert werden.
Lohnt sich Datenjournalismus auch im Hinblick auf Abrufzahlen und Abos?
In der Coronakrise hat die journalistische Aufbereitung von Daten tatsächlich die Abrufzahlen und Aboabschlüsse stark unterstützt. Die Statistiken zu Corona sind unglaublich gut nachgefragt, entsprechend wird die Arbeit der Daten-Teams auch sehr geschätzt. Der Datenjournalist Johannes Schmid-Johannsen vom SWR hat für diese Aufbereitung von derartigen Daten mit persönlich sehr hoher Relevanz den Begriff „Datengrundversorgung“ geprägt.
Ist es schwer, datenjournalistische Arbeitsweisen in einer Redaktion zu etablieren?
Man muss dicke Bretter bohren. Das fängt damit an, dass es für viele Kolleginnen und Kollegen in der Redaktion bereits sehr anstrengend ist, eine Excel-Tabelle mit einem kleinen Datensatz zu lesen und zu bearbeiten, weil es bisher nicht zur Arbeitsroutine gehörte. Außerdem sind Daten-Projekte immer recht aufwendig. Sie dauern länger als eine herkömmliche Geschichte, bei der man Wissenschaftler befragt und fertige Ergebnisse präsentiert bekommt. Das macht es schwer. Hinzu kommt das journalistische Risiko, ob der Aufwand sich lohnt, denn es gibt keine Garantie dafür, dass die Geschichte ein Erfolg wird. Es ist sogar völlig normal, dass Daten-Journalisten auch mal eine Geschichte tot recherchieren.
Wenn der Arbeitsaufwand hoch und das Ergebnis unsicher ist, dann erscheint die vorherrschende Skepsis doch nachvollziehbar.
Stimmt. Deshalb geht es im ersten Schritt darum, die Daten überhaupt erst einmal verfügbar zu machen, zum Beispiel in einem Dashboard mit Corona-Zahlen auf der Startseite. Die Daten-Journalisten haben zum Beispiel die Infrastruktur dafür angelegt, dass die Daten vom Robert-Koch-Institut nicht mehr händisch in Tabellen übertragen werden müssen. Am Anfang hat das wahnsinnig viel Arbeit gemacht. Aber von dieser digitalen Infrastruktur wird der Spiegel auch nach der Pandemie profitieren.
Hilft eine solche Aufbereitung von Daten, die Dominanz von Negativ-Nachrichten aufzubrechen?
Auf jeden Fall. Über datenbasierte Arbeit bekommen wir ein sehr gutes Gespür dafür, dass die Missstände, über die wir berichten, oft nur Einzelfälle sind und können diese dann besser einordnen. Daten machen die langfristige Entwicklung nachvollziehbar. Ob datenbasierte Arbeit dann in konstruktiven Journalismus mündet, hängt davon ab, wie die Ergebnisse in den jeweiligen Redaktionen bewertet werden.
Christina Elmer
Professorin für Digitalen Journalismus, TU Dortmund
Journalistische Berichterstattung kann mit Datenjournalismus und künstlicher Intelligenz verbessert werden, meint Cristina Elmer. Die Expertin für digitalen Journalismus hat beim Spiegel das Ressort Datenjournalismus aufgebaut und weiß: „Man muss dicke Bretter bohren.“ Doch sie ist überzeugt, dass sich der Einsatz lohnt. Denn datengestützte Recherchen ermöglichen neue Perspektiven, neue Erkenntnisse und neue Kooperationen.
Denn in dieser Bevölkerungsgruppe gibt es mehr Fälle, in denen Kredite nicht zurückgezahlt werden. Das führt dazu, dass junge Männer schlechter bewertet werden, auch wenn sie individuell kreditwürdig sind. Der Datenjournalismus kann mit solchen Recherchen dazu beitragen, dass die Fairnessfragen, die sich aus solchen Ergebnissen ergeben, gesellschaftlich überhaupt diskutiert werden.
Lohnt sich Datenjournalismus auch im Hinblick auf Abrufzahlen und Abos?
In der Coronakrise hat die journalistische Aufbereitung von Daten tatsächlich die Abrufzahlen und Aboabschlüsse stark unterstützt. Die Statistiken zu Corona sind unglaublich gut nachgefragt, entsprechend wird die Arbeit der Daten-Teams auch sehr geschätzt. Der Datenjournalist Johannes Schmid-Johannsen vom SWR hat für diese Aufbereitung von
derartigen Daten mit persönlich sehr hoher Relevanz den Begriff „Datengrundversorgung“ geprägt.
Ist es schwer, datenjournalistische Arbeitsweisen in einer Redaktion zu etablieren?
Man muss dicke Bretter bohren. Das fängt damit an, dass es für viele Kolleginnen und Kollegen in der Redaktion bereits sehr anstrengend ist, eine Excel-Tabelle mit einem kleinen Datensatz zu lesen und zu bearbeiten, weil es bisher nicht zur Arbeitsroutine gehörte. Außerdem sind Daten-Projekte immer recht aufwendig. Sie dauern länger als eine herkömmliche Geschichte, bei der man Wissenschaftler befragt und fertige Ergebnisse präsentiert bekommt. Das macht es schwer. Hinzu kommt das journalistische Risiko, ob der Aufwand sich lohnt, denn es gibt keine Garantie dafür, dass die Geschichte ein Erfolg wird. Es ist sogar völlig normal, dass Daten-Journalisten auch mal eine Geschichte tot recherchieren.
Wenn der Arbeitsaufwand hoch und das Ergebnis unsicher ist, dann erscheint die vorherrschende Skepsis doch nachvollziehbar.
Stimmt. Deshalb geht es im ersten Schritt darum, die Daten überhaupt erst einmal verfügbar zu machen, zum Beispiel in einem Dashboard mit Corona-Zahlen auf der Startseite. Die Daten-Journalisten haben zum Beispiel die Infrastruktur dafür angelegt, dass die Daten vom Robert-Koch-Institut nicht mehr händisch in Tabellen übertragen werden müssen. Am Anfang hat das wahnsinnig viel Arbeit gemacht. Aber von dieser digitalen Infrastruktur wird Der Spiegel auch nach der Pandemie profitieren.
Hilft eine solche Aufbereitung von Daten, die Dominanz von Negativ-Nachrichten aufzubrechen?
Auf jeden Fall. Über datenbasierte Arbeit bekommen wir ein sehr gutes Gespür dafür, dass die Missstände, über die wir berichten, oft nur Einzelfälle sind und können diese dann besser einordnen. Daten machen die langfristige Entwicklung nachvollziehbar. Ob datenbasierte Arbeit dann in konstruktiven Journalismus mündet, hängt davon ab, wie die Ergebnisse in den jeweiligen Redaktionen bewertet werden.